Es gibt Begegnungen, die unser Verständnis von Heimat und Identität tiefgreifend verändern. Eine solche Begegnung hatte ich mit Tim, auch bekannt unter seinem Künstlernamen SCOR, in Shenzhen. Nach seinem Studium zog er dorthin, um seiner Leidenschaft für Musik nachzugehen. Mit nur einem Euro pro Tag überlebte er die ersten Jahre, widmete sich täglich der Musik und kämpfte gegen die anfängliche Ablehnung auf chinesischen Plattformen, da ihm die notwendige Verifizierung fehlte.
Heute zählt SCOR mehrere Millionen Follower auf Plattformen wie TikTok, Instagram und verschiedenen chinesischen Netzwerken. Seine Erfahrungen in der Great Bay Area haben ihm gezeigt, dass Deutschland, einst für Offenheit und technologische Führerschaft bekannt, in vielerlei Hinsicht nicht mehr so wahrgenommen wird. Es fehlt der unbedingte Wille, zu arbeiten, zu schaffen und Leistung zu bringen – ein Geist, der in der Great Bay Area allgegenwärtig ist und den er als entscheidend für seinen Erfolg bezeichnet.
Tim beobachtet, dass Deutschland in einem absteigenden Zyklus steckt. Die glorreichen Zeiten, in denen das Land als leuchtendes Vorbild für Innovation und Arbeitsmoral galt, scheinen vorbei zu sein. Noch gravierender ist, dass viele dies nicht einmal bemerken wollen – Journalisten und Entscheidungsträger eingeschlossen. Der Blick auf Deutschland aus seiner neuen Heimat offenbart, wie sehr sich das Land in Selbstzufriedenheit wiegt, während andere Regionen der Welt mit Entschlossenheit voranschreiten.
Seine Geschichte ist eine Mahnung, ein Weckruf. Deutschland muss lernen, den Spirit, den er in Asien lebt und verkörpert, wiederzuentdecken: den Drang, immer wieder aufzustehen, Herausforderungen anzunehmen und sich nicht mit dem Erreichten zufriedenzugeben. Denn diese Jahrhundertwende, so scheint es, ist nicht die unsere – jedenfalls nicht, solange wir uns selbst im Spiegel der Vergangenheit betrachten, anstatt mutig in die Zukunft zu blicken.
